Vorzeitige Beendigung und Übertragung von Elternzeit
[themecolor]Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21. April 2009, Geschäftszeichen 9 AZR 391/08[/themecolor]
§ 15 Abs. 2 Satz 4.1 Hs. BEEG;
§315 BGB
Leitsätze der Bearbeiterin:
- Eine ausdrückliche Zustimmung des Arbeitgebers zur vorzeitigen Beendigung der Elternzeit ist nicht erforderlich.
- Der Arbeitnehmer kann nicht verbrauchte Elternzeit – sofern sie ursprünglich beantragt gewesen ist – mit einem Anteil von bis zu 12 Monaten mit Zustimmung des Arbeitgebers in den Zeitraum des vollendeten dritten bis achten Lebensjahres des älteren Kindes übertragen.
- Die Entscheidung über die Zustimmung zur Übertragung hat der Arbeitgeber gemäß § 315 BGB nach billigem Ermessen zu treffen. Diese Entscheidung ist gerichtlich voll überprüfbar.
Problempunkt:
Die Klägerin, die seit 1999 bei der Beklagten beschäftigt gewesen ist, hatte im Jahr 2004 ihr erstes Kind, eine Tochter, geboren. Für dieses Kind hat sie drei Jahre Elternzeit genommen. Vor Ablauf der beantragten Elternzeit wurde 2006 ihr zweites Kind, ein Sohn, geboren. Anlässlich dieser Geburt teilte sie der Beklagten mit, dass sie drei Jahre Elternzeit für ihren Sohn nehmen wolle und die verbleibende Elternzeit für ihre Tochter „vorab oder danach“ in Anspruch nehme. Die Beklagte gewährte drei Jahre Elternzeit für den Sohn, die Verlängerung um die nicht in Anspruch genommene Elternzeit für die Tochter lehnte sie jedoch ab. Daraufhin verlangte die Klägerin noch einmal ausdrücklich und schriftlich, ihr die vollen sechs Jahre Elternzeit für ihre beiden Kinder zu gewähren, was von der Beklagten wiederum abgelehnt wurde.
Entscheidung:
Die Vorinstanzen hatten der Klage, die sich auf die Verurteilung der Beklagten zur Zustimmung zur Übertragung der verbliebenen Restelternzeit richtete, im Wesentlichen stattgegeben. Auch die Revision der Beklagten scheiterte in der Sache selbst.
Das Bundesarbeitsgericht hatte darüber zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wie ein Antrag auf Übertragung der Elternzeit durch den Arbeitgeber wirksam abgelehnt werden kann. Bei der Entscheidungsfindung haben folgende Überlegungen eine tragende Rolle gespielt: Die vorzeitige Beendigung einer für das erste Kind in Anspruch genommenen Elternzeit wird mit Ablauf von vier Wochen nach Zugang einer entsprechenden Erklärung der Arbeitnehmerin wirksam (im Folgenden wird die weibliche Form verwendet, die Ausführungen treffen aber selbstverständlich auch auf die männlichen „Elternzeitler“ zu). Allerdings kann der Arbeitgeber innerhalb dieser Frist die vorzeitige Beendigung der Elternzeit ablehnen. Die Ablehnung der vorzeitigen Beendigung kann allerdings nur aus dringenden betrieblichen Gründen erfolgen.
Ist eine vorzeitige Beendigung wirksam erfolgt und verfügt die Arbeitnehmerin daher über „unverbrauchte“ Elternzeit für das ältere Kind, so kann diese Zeit an die Elternzeit für das nachgeborene Kind „angehängt“ werden. Die Übertragung erfolgt nach § 15 Abs. 2 Satz 4, 1. HS BEEG. Diese Vorschrift stellt ein einseitiges Gestaltungsrecht der Arbeitnehmerin dar – einer Zustimmung durch den Arbeitgeber bedarf es insoweit nicht. Die Übertragung kann aber durch den Arbeitgeber durch eine entsprechende Erklärung abgelehnt werden. Eine Ablehnung kann allerdings nur dann wirksam sein, wenn die Entscheidung des Arbeitgebers den Anforderungen an das billige Ermessen genügt, vgl. § 315 BGB.
Die Grenzen des billigen Ermessens sind nach den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts nur dann gewahrt, wenn der Arbeitgeber in nachvollziehbarer Weise die wesentlichen Umstände des Einzelfalls abgewogen und die widerstreitenden Interessen angemessen berücksichtigt hat. Dabei gilt ein objektiver Maßstab. Es ist nicht ausreichend, wenn sich der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung auf abstrakte Erwägungen wie der fehlenden Planungssicherheit hinsichtlich der Besetzung der Stelle oder Vertretungsfragen beruft. Insoweit hat der Gesetzgeber eine Wertung getroffen, die auch bei dieser Entscheidung ihren Niederschlag finden muss: Das Interesse der Arbeitnehmerin an der Betreuung ihrer Kinder sowie an der Übertragung der restlichen Elternzeit hat grundsätzlich mehr Gewicht als abstrakte Erwägungen des Arbeitgebers, die möglicherweise gegen eine Übertragung der Restelternzeit sprechen.
Im vorliegenden Fall hatte die Arbeitgeberin keine konkreten negativen betrieblichen Auswirkungen vorgetragen, die mit der Übertragung der Elternzeit eingetreten wären, so dass im Ergebnis die Restelternzeit „angehängt“ werden konnte.
Konsequenzen:
Die Entscheidung ist sowohl für die Arbeitnehmer- als auch für die Arbeitgeberseite von Bedeutung: Das Bundesarbeitsgericht hat deutlich gemacht, dass Arbeitnehmer die Übertragung von Elternzeit verlangen können und eine Ablehnung durch den Arbeitgeber nur dann wirksam erfolgen kann, wenn dringende betriebliche Gründe gegen eine solche Übertragung sprechen. Diese Gründe müssen vorgetragen – und im Fall der gerichtlichen Auseinandersetzung – auch bewiesen werden. Dies dürfte, insbesondere wenn es sich nicht um ein Kleinunternehmen handelt, in der Praxis schwierig sein. Es ist in keinem Fall ausreichend, wenn der Arbeitgeber zur Begründung der Ablehnung allein abstrakte Erwägungen anführt wie etwa die fehlende Planungssicherheit bei der Besetzung der Stelle der Elternzeitlerin.
Praxistipp:
Arbeitgeber müssen wissen, dass die beantragte (und nicht verbrauchte) Elterzeit übertragbar ist – und auch nach der Elternzeit für ein weiteres Kind „angehängt“ werden kann, wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind. Beantragt also eine Arbeitnehmerin die vorzeitige Beendigung der Elternzeit, so muss der Arbeitgeber – wenn er dies verhindern will – spätestens innerhalb von vier Wochen nach Kenntnis von diesem Antrag diesen unter Nennung dringender betrieblicher Gründe ablehnen. Die dringenden betrieblichen Gründe sind darzulegen und im Streitfall auch zu beweisen. Dasselbe gilt, wenn beantragt wird, dass nicht verbrauchte Elternzeit an das Ende der Elternzeit für ein zweites oder weiteres Kind „angehängt“ werden soll.
Katrin Borck
Fachanwältin für Arbeitsrecht